Feldenkrais
“Viele unserer physischen und psychischen Mängel sollten weder als behandlungsbedürftige Krankheitenbetrachtet werden, noch als schicksalhafte Charaktereigenschaften, denn beides trifft nicht zu. Sie sind das Ereignis eines erlernten Fehlverhaltens. Der Körper führt nur das aus, was das Nervensystem ihm befiehlt. Seine Entwicklung dauert länger und hat eine größere Bedeutung als bei allen anderen Säugetieren. Aktivitäten, die über Jahre hinweg unzählige Male ausgeführt werden, d.h. gewohnheitsmäßigen Tätigkeiten, formen sogar die Knochen, ganz zu schweigen von den umgebenden Muskeln. Körperliche Mängel, die erst lange nach der Geburt in Erscheinung treten, sind vor allem darauf zurückzuführen, welche Tätigkeit wir unserem Körper zugemutet haben. Eine falsche Art des Stehens und des Gehens führt zu Plattfüßen, das bedeutet, dass die Geh- und Stehweise korrigiert werden muss und nicht die Füße. Unser Körper ist offenbar in der Lage, sich an alle Anforderungen und an die Art, wie wir ihn benutzen, anzupassen. Wenn wir lernen die Möglichkeiten der eigenen Steuerung besser zu nutzen, werde sich unsere Füße, Augen oder die anderen Organe wieder anpassen und Form und Funktion entsprechend verändern. Die Transformationen und die Geschwindigkeit, mit der sie erreicht werden können grenzen mitunter ans Unglaubliche…“
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“Wenn man mit dem Begriff Reife konfrontiert wird, denkt man gewöhnlich daran, dass ein Mensch einen Zustand erreicht hat, der keine weiteren Erfahrungen zulässt. Dadurch wird ein Element der Fixierung in Diskussion gebracht, das im Widerspruch zur Dynamikdes Lebens steht. Ich versteh unter Reife die Fähigkeit eines Individuums, die Gesamtsituationen vergangener Erfahrungen in ihrer Komponenten zu zerlegen, um sie dann in eine neue Konfiguration zu bringen, die den gegenwärtigen Umständen am besten gerecht wird. Auf diese Weise erweist sich die bewusste Steuerung im tatsächlichen Verhalten als ein übergeordneter Servomechanismus des Nervensystems. Reife ist in diesem Sinne ein Idealzustand, in dem die Einzigartigkeit des Menschen, seine Fähigkeit, neue Reaktionen zu bilden oder zu lernen, höchste Vollkommenheit erreicht.“
Der reife Mensch, der frühere Erfahrungen aufgliedern kann und in der gegenwärtigen Situation nur die Teile gelten lässt, die für eine angemessene Lösung der aktuellen Probleme benötigt werden, besitzt auch ein größeres Erholungspotential. Bei einem unreifen Menschen löst jede Forderung nach Reform oder Veränderung, die die Umwelt an ihn stellt, eine Krise aus, mit der er nicht fertig wird.“
“Die Lektionen von Feldenkrais wirken alle in Richtung einer Verbesserung des Gesamtverhaltens, sind daher nichtspezifisch, sondern spezifisch in ihrer (unterschiedlichen) Wirkung auf die einzelne Person. Das bedeutet, dass ihr Ergebnis mindestens für den Schüler nicht voraussehbar ist, und verlangt daher Aufmerksamkeit ohne Zielstrebigkeit, das heißt ohne eigenen oder äußeren Leistungszwang, eine Verfassung also oder Einstellung, die gegen unsere „Kultur des Erfolgs“, wie Arno Gruen sie nennt, vorerst zu erlernen ist und in kürzester Zeit gelernt werden kann. Aufgabe des Lehrers ist es, Bewusstwerden herbeiführen, indem er die Neugier weckt und die Aufmerksamkeit lenkt, nicht aber, bewusstmachen. Der Schüler lernt nicht eine bestimmte Handlung, erst recht nicht, ein bestimmtes Ziel zu erreichen, sondern wie zu handeln sei. Er lernt wie man lernt. So wird er sich selbst verfügbar, und nur dann kann er sich weiterentwickeln, statt im einmal Erreichten zu stagnieren. Wie das Gute des Besseren Feind ist, so steht das Ziel dem Weg im Weg.“